Ist Fleisch doch gesund? Neue wissenschaftliche Erkenntnisse?

Die Presse titelte im Oktober „Fleisch ist doch nicht ungesund“ und bezog sich auf eine wissenschaftliche Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Annals of Internal Medicine[1]. Tatsächlich hatten die Forscher geschrieben, es gäbe nach umfassender Studienanalyse keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Krebs- oder Herzkreislauferkrankungen bei Verzehr von rotem Fleisch. Wie sind diese Aussagen, die im krassen Widerspruch stehen zu den vielen Studien der letzten Jahre, zustandegekommen und zu interpretieren? Wieso haben umgehend grosse Fachgesellschaften anderslautend Stellung bezogen? Eine Detailbetrachtung führt zu erstaunlichen Erkenntnissen:

Bei der Veröffentlichung handelte es sich um fünf sogenannte systemische Reviews, also eine Auswertung einer Auswahl von Studien. Die erste mögliche Fehlerquelle kann dabei sein, welche Studien eingeschlossen wurden und welche ausgeschlossen wurden. Auch zum Rauchen gab es Studien, welche zeigen sollten, dass Passivrauchen ungefährlich ist. Diese wurden von der Tabakindustrie finanziert und logischerweise wäre ein systematischer Review zum Rauchen, welche nur diese Studien berücksichtigen würde, im Sinne der Tabaklobby ausgefallen.

Für die ersten drei systematischen Reviews wurden über 100 Studien mit rund sechs Millionen Menschen berücksichtigt. Hierbei zeigte sich eindrücklich, dass es sich bereits positiv auf die Gesundheit auswirkt, wenn man seinen Fleischkonsum nur leicht reduziert[1-3]. Verzichteten die Personen auf drei Portionen Fleisch pro Woche, sank ihr Risiko frühzeitig zu sterben um bis zu 15%, das Sterberisiko für Krebs sank sogar um bis zu 18%. Da Krebserkrankungen in der Schweiz die zweithäufigste Todesursache sind, würde dies pro Jahr über 3000 vermeidbaren Todesfälle in der Schweiz entsprechen[4].

Im vierten systematischen Review kamen die Forscher zum Ergebnis, dass es „nur einen geringen oder keinen Effekt auf kardiovaskuläre Endpunkte, Krebshäufigkeit und Krebsinzidenz“ gab [5]. Für diesen Review wurde die Women’s Health Initiative Studie (WHI) eingeschlossen. Diese hatte so viele Teilnehmer, dass sie ganze Auswertung dominierte. Aber die WHI-Studie hatte gar nicht die Auswirkungen von Fleischreduktion untersucht, sondern nur die Auswirkungen einer fettreduzierten Ernährung. Diese Studie für die zu beantwortende Frage zu berücksichtigen ist somit so als würde man Äpfel mit Birnen vergleichen. Hingegen wurden wichtige Studien zu dieser Frage gar nicht erst berücksichtigt, so z.B. die Predimed, die Dash oder die Lifestyle Heart Trial Studien.

Der fünfte systematische Review untersuchte, ob Menschen gerne Fleisch essen. Vereinfacht formuliert kamen sie zum Ergebnis „Fleisch sollte deshalb gegessen werden, weil es schmeckt.“[6]

 

Was bedeutet dies nun?

Zusammenfassend kamen die ersten drei Reviews zum klaren Ergebnis, dass der Fleischkonsum ungesund ist und eine Reduktion sehr positive Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Der vierte Review kam zum gegenteiligen Ergebnis, aber hatte Studien eingeschlossen, welche diese Frage gar nicht zum Untersuchungsziel hatten. Der fünfte Review stellt überhaupt keine wissenschaftliche Untersuchung zu dieser Frage dar. Im Sport würde man nun sagen: Es steht drei gegen eins, wobei die eins auch noch mit falschen Mitteln erzielt wurde. Wie kommt nun das Forscherteam trotzdem zur Schlussfolgerung, man müsse nicht vom Fleischkonsum abraten?

In erster Linie begründen die Forscher dies damit, dass es kaum doppelt-verblindete, randomisiert-kontrollierte Studien zu dieser Frage gäbe. Innerhalb der Medizin wird wissenschaftliche Qualität auch nach der Art der Studie beurteilt. Als höchste Qualität wird dabei die Untersuchung unter Laborbedingungen betrachtet, bei der man einen Effekt gegenüber Placebo vergleicht und weder die Probanden, noch die Ärzte wissen, wer in welcher Untersuchungsgruppe ist. Das Problem ist jedoch, dass in vielen medizinischen Bereichen solche Studien gar nicht möglich sind. Um ein einfach verständliches Beispiel zu bemühen: Möchte man den Nutzen einer Sauerstoffgabe bei Atemnot untersuchen, müsste man für eine randomisierte, kontrollierte Studie Patienten, die Atemnot hätten in zwei Gruppen einteilen. Die eine Gruppe bekäme lebensrettenden Sauerstoff, die andere Gruppe würde ein nutzloses Gas zu inhalieren bekommen und weder Patient, noch behandelnder Arzt würden wissen, wer was zu inhalieren bekommt. Es ist klar, dass eine solche Studie höchst unethisch wäre, weil man grosses Leid und vermeidbare Todesfälle verursachen würde. Auch für die Auswirkungen des Rauchens gibt es keine randomisierten, kontrollierten Studien, bei denen Menschen entweder über Jahrzehnte echte oder Placebozigaretten rauchen mussten. Trotzdem ist die Schädlichkeit des Rauchens ohne Zweifel erwiesen.

Bei Ernährungsfragen müssen meist Beobachtungsstudien zur Anwendung kommen, denn man kann nicht Menschen in einem Labor für Jahre einsperren (um äussere Einflüsse auszuschliessen) und dann nach dem Zufallsprinzip entweder in eine Gruppe einteilen, die Fleisch essen muss oder in eine, die Placebo-Fleisch essen muss. Als eine der wichtigsten Institutionen für die evidenzbasierte Medizin zeigte die Cochrane Collaboration schon 2014, dass gut angelegte Beobachtungsstudien genau so gute Erkenntnisse wie randomisierte, kontrollierte Studien liefern[7].

So verwundert es nicht, dass seriöse systematische Reviews zum Ergebnis kamen, dass Fleischkonsum schädlich ist und eine vegetarische oder vegane Ernährung das Erkrankungsrisiko für viele Krankheiten deutlich reduziert. Unter anderem hat schon die WHO 2015 den Konsum von Fleisch als ähnlich krebserregend wie das Rauchen eingestuft[8].

Obwohl es üblich ist, dass Forscher Interessenskonflikte veröffentlichen müssen, haben die 14 Autoren (NutriRECS Consortium) der Auswertung angegeben, sie hätten keine. Doch zu den grössten Sponsoren dieses Konsortiums gehört Texas A&M AgriLife, ein Lobbyverband der texanischen Agrarindustrie, welcher die Rinderzucht in Texas fördern soll [9].

Für Verwirrung sorgten die Forscher zudem damit, dass sie ihre Veröffentlichung als „Empfehlungen für Ernährungsleitlinien“ bezeichneten. Normalerweise werden solche Empfehlungen von einer Gruppe aus Fachgesellschaften erarbeitet. Nimmt man die 14 Autoren beispielsweise im Vergleich zur American Dietetic Association mit ihren über 60.000 Mitgliedern, welche in ihren Ernährungs-Leitlinien bereits seit 1992 vegetarische/vegane Ernährung propagiert, so wird eine gewisse Selbstüberheblichkeit der Autoren deutlich. Nicht unerwähnt bleiben soll auch, dass selbst diese 14 Personen sich nicht einig waren. So hatten 3 eine klare Empfehlung gefordert, den Fleischkonsum zu reduzieren. Wenn nun die anderen 11 als Hauptargument anführen, die methodische Qualität der untersuchten Studien sei ungenügend, so können sie daraus überhaupt keine Empfehlung ableiten. Genau das wurde aber getan.

Zudem wurden die Auswirkungen einer vegetarischen oder veganen Ernährung gar nicht untersucht, sondern nur die Auswirkungen eines reduzierten Fleischkonsums. Dies wäre etwa so als würde man die Auswirkungen des Rauchens von 2 Schachteln Zigaretten pro Tag mit den Auswirkungen eines um 3 Zigaretten pro Tag reduzierten Konsums untersuchen würde anstatt Raucher mit Nichtrauchern zu vergleichen.

Zusammengefasst haben die von der Rindfleisch-Lobby gesponsorten Forscher mit ihren eigenen Auswertungen gezeigt, dass bereits eine Reduktion des Fleischkonsums um 3 Mahlzeiten/Woche das Risiko frühzeitig zu sterben um bis zu 15% reduziert, das Sterberisiko für Krebs sogar um bis zu 18%. Alle weiteren Schlussfolgerungen sind mit ihren Arbeiten nicht möglich.

Seriöse Organisationen wie z.B. der World Cancer Research Fund International[10] und des Max Rubner Instituts haben umgehend auf die Veröffentlichung reagiert und klargemacht, dass die Schlussfolgerungen der 14 Autoren falsch sind und es als erwiesen gilt, dass Fleischkonsum schädlich für die Gesundheit ist. Auch die Laienpresse hatte teilweise nach vorschnellen Veröffentlichungen, dass der Fleischkonsum doch nicht ungesund ist, die Titel nach eingehenderer Betrachtung geändert, so z.B. Zeit Online[12].

 

Zitierte Referenzen

1. Johnston, Bradley et al: Unprocessed Red Meat and Processed Meat Consumption: Dietary Guideline Recommendations From the Nutritional Recommendations (NutriRECS) Consortium. Annals of Internal Medicine 1.10.2019 https://annals.org/aim/fullarticle/2752328/unprocessed-red-meat-processe...

2. Vernooij, Robin et al: Patterns of Red and Processed Meat Consumption and Risk for Cardiometabolic and Cancer Outcomes: A Systematic Review and Meta-analysis of Cohort Studies. Annals of Internal Medicine 1.10.2019 https://annals.org/aim/fullarticle/2752327/patterns-red-processed-meat-c...

3. Han, Mi Reduction of Red and Processed Meat Intake and Cancer Mortality and Incidence: A Systematic Review and Meta-analysis of Cohort Studies. Annals of Internal Medicine 1.10.2019 https://annals.org/aim/fullarticle/2752321/reduction-red-processed-meat-...

4. Krebsliga Schweiz: Krebs in der Schweiz: wichtige Zahlen. Dezember 2018. Krebs-Todesfälle in der Schweiz (gerundete Zahlen) 2011-2015, Männer + Frauen.

5. Zeraatkar, D: Effect of Lower Versus Higher Red Meat Intake on Cardiometabolic and Cancer Outcomes: A Systematic Review of Randomized Trials. Annals of Internal Medicine 1.10.2019 https://annals.org/aim/fullarticle/2752326/effect-lower-versus-higher-re...

6. Valli, Claudia: Health-Related Values and Preferences Regarding Meat Consumption: A Mixed-Methods Systematic Review. Annals of Internal Medicine. 1.10.2019 https://annals.org/aim/fullarticle/2752323/health-related-values-prefere...

7. Anglemyer, A. et al: Healthcare outcomes assessed with observational study designs compared with those assessed in randomized trials. In: The Cochrane database of systematic reviews. Nummer 4, April 2014, S. MR000034 https://doi.org/10.1002/14651858.MR000034.pub2

8. International Agency for Research on Cancer, World Health Organization: IARC Monographs: Red Meat and Processed Meat. Volume 114. Erstveröffentlichung Oktober 2015, aktualisiert 2018.

9. Texas A&M AgriLife joins international NutriRECS consortium. AgriLife Today 16.4.2019 https://today.agrilife.org/2019/04/16/texas-am-agrilife-joins-internatio...

10. Brown, Susannah: What’s the beef? Conflicting recommendations for meat and cancer risk. World Cancer Research Fund International 1.10.2019 https://www.wcrf.org/int/blog/articles/2019/10/what%E2%80%99s-beef-confl...

11. Fleischverzehr und Gesundheit. Max Rubner-Institut 1.10.2019 https://www.mri.bund.de/de/aktuelles/meldungen/meldungen-einzelansicht/?...

12. Fischer, Linda: Forscher sehen keinen Grund, auf rotes Fleisch zu verzichten (=neuer/geänderter Titel) Zeit Online 1.10.2019 https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2019-09/gesunde-ernaehrung-rotes-f...